P. Brun: Schrift und politisches Handeln

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Titel
Schrift und politisches Handeln. Eine «zugeschriebene» Geschichte des Aargaus 1415–1425


Autor(en)
Brun, Peter
Erschienen
Zürich 2006: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Roland Gerber

Krisen und Kriege, aber auch soziale Umstürze förderten im Mittelalter den Gebrauch von Schriftlichkeit und führten zur Entstehung neuer Typen von Verwaltungsschriftgut. Herrschaftsrechte mussten gegen Konkurrenten abgesichert, neue Ansprüche legitimiert und mit der Besiegelung prächtiger Pergamenturkunden gegen aussen wirkungsvoll inszeniert werden. Peter Brun nimmt die politischen Umwälzungen nach der Eroberung des habsburgischen Aargaus durch die Eidgenossen im Frühjahr 1415 zum Anlass, um in seiner 2006 am Lehrstuhl Roger Sabloniers in Zürich entstandenen Dissertation «die Produktion, die Verwendung und das Aufbewahren von Schriftstücken» aufgrund ihres Nutzens für Aussteller und Adressaten zwischen 1415 und 1425 vergleichend zu untersuchen. Seine Absicht ist es, das aus einer Konfliktsituation heraus entstandene Schriftgut jeweils aus der Sicht der beteiligten politischen Akteure nach seiner Funktion zu beschreiben. Abgeleitet aus deren Gebrauchs- und Überlieferungszusammenhängen soll dabei beurteilt werden, inwieweit bei den nach der Eroberung des Aargaus angelegten Dokumenten eher «textinhaltliche» oder eher symbolische Kriterien wie äussere Form und Besiegelung, Aufbewahrungsort und Verwendungszweck im Vordergrund standen. Brun versteht sein Werk denn auch in erster Linie als Quellenkritik, welche die traditionellen Kategorisierungen mittelalterlicher Schriftstücke nach ihrem (Rechts-)Inhalt zugunsten einer offeneren Interpretation nach deren Funktion in historischen Handlungszusammenhängen zu erweitern sucht.

Nach einem kurzen Überblick über Forschungsstand und einer Einführung in die politischen Ereignisse im Aargau zwischen 1415 und 1425 folgen fünf Kapitel, in denen «sämtliche greifbaren Schriftstücke, die mit den Ereignissen zeitgenössisch in Verbindung stehen», aus der Sicht der am Konflikt beteiligten Akteure besprochen werden. Peter Brun verfolgt dabei insofern einen neuen methodischen Ansatz, als er nicht eine inhaltliche Auswertung der überlieferten Quellen ins Zentrum seiner Betrachtung setzt, sondern versucht, deren unterschiedliche Benutzung durch Aussteller (eigene Schriftstücke) und Adressaten (fremde Schriftstücke) zu erläutern. Zudem werden neben den Hauptkontrahenten des Konflikts, den eidgenössischen Städten (Kap. 5), König Sigismund von Luxemburg (Kap. 4) und Herzog Friedrich IV. von Österreich (Kap. 7), auch die Kleinstädte (Kap. 3) und der habsburgische Dienstadel im Aargau (Kap. 6) in die vergleichende Betrachtung miteinbezogen.

Brun gelingt es darzulegen, dass dem (Rechts-)Inhalt der nach der Eroberung des Aargaus angelegten Dokumente zwar durchaus eine wichtige Bedeutung zukommt. Bei jenen Schriftstücken aber, in denen das Verhältnis zwischen zwei unterschiedlich mächtigen Akteuren geregelt wurde – zum Beispiel zwischen der Stadt Bern und den militärisch unterlegenen habsburgischen Städten und Adligen –, standen jedoch weniger deren Inhalt als vielmehr deren symbolische Bedeutung im Vordergrund. Allein schon die Existenz eines Dokuments konnte in manchen Fällen bewirken, dass deren Besitzer ihre Ansprüche legitimieren oder (beispielsweise vor Gericht) gegen konkurrierende Herrschaftsträger durchsetzen konnten. Die an der Eroberung des Aargaus beteiligten eidgenössischen Orte zeigten sich deshalb darum bemüht, vor allem bei jenen Städten und Dienstadligen, die auf älteres (habsburgisches) Schriftgut wie Privilegien, Lehens- und Pfandbriefe zurückgreifen konnten, ihren Herrschaftsanspruch nach 1415 auf eine neue schriftliche Grundlage zu stellen.

Die «symbolische» Wirkung von Schriftstücken hatte jedoch auch ihre klaren
Grenzen. Waren die Machtunterschiede zwischen zwei Kontrahenten zu gross, so setzten sich in der Regel jene Herrschaftsträger durch, die über das grössere politische und militärische Potenzial verfügten. Dies zeigte sich beispielsweise bei der Integration der aargauischen Kleinstädte in den Herrschaftsbereich der Eidgenossen: Aarau, Baden, Brugg und Zofingen, aber auch Bremgarten, Lenzburg, Mellingen und Sursee erfreuten sich nach 1415 einer wahren Flut königlicher Privilegierungen. Diese ergab sich aus deren doppelter Rechtsstellung als Reichsstädte und als Untertanen der eidgenössischen Orte. Obwohl in diesen Privilegien die verschiedenen Rechte und Pflichten der Städte überhaupt nicht oder dann nur summarisch aufgeführt wurden, erachteten die Ratsgeschlechter den «symbolischen» Besitz solcher königlichen Freiheitsbriefe offenbar als derart wichtig, dass sie für deren Beschaffung keine noch so grossen finanziellen Aufwendungen scheuten. Die politischen Auseinandersetzungen der Eidgenossen mit den aargauischen Kleinstädten während des 15. Jahrhunderts machen aber deutlich, dass der Besitz königlicher Freiheiten allein noch nicht zu einer Verbesserung der Rechtsstellung der betroffenen Städte führte. Entscheidender war vielmehr deren «reale» wirtschaftliche und politische Stellung innerhalb der Region.

Peter Brun versteht es in seiner Dissertation überzeugend nachzuweisen, dass bei der Analyse mittelalterlicher Schriftstücke neben deren (Rechts-) Inhalt immer auch deren Funktion und Überlieferungszusammenhänge untersucht werden müssen. Damit bringt Brun zwar keine neue Erkenntnis. In der konsequenten Umsetzung seines Ansatzes gelingt es ihm aber, das Verständnis über die Bedeutung und den Gebrauch von Schriftlichkeit in der politisch unruhigen Zeit zwischen 1415 und 1425 zu erweitern. Die gewählte Methode bietet dabei eine ausgezeichnete Grundlage, um die Wirkung von Schriftdokumenten auf den gelebten politischen Alltag zu untersuchen und damit die Kommunikation zwischen Herrschenden und Beherrschten aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.

Zitierweise:
Roland Gerber: Rezension zu: Brun, Peter: Schrift und politisches Handeln. Eine «zugeschriebene» Geschichte des Aargaus 1415–1425, Zürich, Chronos Verlag 2006, 218 S. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 3, Bern 2009, S. 117ff.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 3, Bern 2009, S. 117ff.

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